In einem urigen Tal liegt die Hacienda Los Andes - Nordchile, ein trockenes, angenehmes Klima und in der Nähe der argentinischen Grenze wohne ich. Das nächste Dorf, Hurtado, eine urige Ansammlung von bunten Adobe-Häusern, liegt 5 km entfernt, meine Arbeitsstelle liegt inmitten der chilenischen Pampa. Die nächste Stadt - Ovalle - liegt 80 km entfernt, doch Busse brauchen auf dem Schotterweg 3 Stunden. Es ist abgelegen und fast einsam. Aber wunderschön.
Obstgärten umgeben die Hacienda, die Pferde warten auf den grünen Weiden, und überall wachsen Kräuter und duftende Büsche. Der Río Hurtado, der das gesamte Tal mit Wasser versorgt - es regnet hier nur im Juni, Juli und August -, fließt mitten durch das riesige Areal, das sich bis auf die Bergkuppe des Cerro Gigante auf 2576 Meter erstreckt. Hier befinden sich Badeplätze, Trauerweiden, Vögel.
Mein Lieblingsplatz ist die alte Brücke, die über den Fluss führt. Es ist wunderbar, durch das Blätterdach in den blauen Himmel zu starren und dem Rauschen des Flusses zuzuhören. Das ist mein Platz zum Entspannen, zum Alleinsein, zum Nachdenken. Nachdenken über die Zeit, die ich hier verbringe. Nachdenken über die Menschen, die ich hier kennen lerne. Nachdenken über Gott und die Welt, träumen, schlafen.
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Seit Februar bin ich hier, zuständig für Marketing, Leitung eines Projektes - Naturlehrpfad über das Gelände der Hazienda -, Guide auf Reittouren. Touren entlang dem alten Inkatrail nach Argentinien, Indianer-Malereien, Zeremonien-Plätze.
Meine Lieblingstour geht in die Hochanden zu Don Viktor. Ein alter Ziegenhirte mitten in der Einsamkeit. Nahe bei seiner Hütte liegen Indianer-Malereien - Sonnen, Guanacos, Menschen sind hier sorgfältig in den Grauen Stein eingemeißelt worden. Eine Solarzelle versorgt das alte Radio mit Strom und eine Glühbirne sorgt für Licht in der sternenklaren Nacht.
Er freut sich immer, wenn ich ihn mit meinen Exkursionsteilnehmern besuche, sucht das beste Stück frischen Ziegenkäses für mich heraus, spielt auf seiner Harmonika.
Ich bringe ihm Äpfel mit, die hier oben nicht wachsen und wir unterhalten uns bis spät in die Nacht hinein, während die Sterne immer klarer am Himmel stehen, das Kreuz des Südens über uns leuchtet, die Pferde um uns herum grasen.
Ich könnte stundenlang zuhören, mehr über Viktors Leben erfahren, ein hartes Leben, einsam und doch ist er so zufrieden mit seiner Welt, harmonisch, ruhig. Könnte ich so leben, frage ich mich immer wieder. Ich genieße die Ruhe, doch nach einiger Zeit... Ich glaube, ich würde mich zu alleine fühlen.
Ich koche für meine Gäste, Viktor hilft mir, auf seinem Holzgrill werden Würste gegrillt, frisches Brot backen wir, und die Krönung ist immer der Ziegenkäse. Saftig, frisch, der Geschmack einmalig. Der Abschied am folgenden Tag, Viktor hilft mir beim Einfangen der Pferde, die sich auf der Hochebene verstreut haben, hilft mir beim Satteln, ich nehme eine Einkaufsliste mit auf den Weg.
Beim nächsten Besuch, hoffentlich bald, werde ich ihm wieder Äpfel mitbringen, Yoghurt, Haferflocken, Zucker, eine Glühbirne. Und das beste Stück Ziegenkäse wird wieder für mich reserviert sein. Und die besten Geschichten.
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Völlig anders ist die Tour in die Maitenes de Serón. Mitten in den Bergen liegt hier um kleine Quellen verstreut eine Ansammlung von Häusern, die Landschaft ist atemberaubend: Verschiedene Sand-Farben wechseln ab, bunt leuchten die hohen Berge um die Ebene herum.
Wir übernachten bei einer netten Familie, Ana, und ich werde mit Mate dem typischen Kräutertee versorgt. Der Tee ist bitter, doch ich liebe diesen eigenartigen Geschmack. Am besten mit Minze, Apfelstücken.
Wir besuchen die Weberinnen hier, große Decken werden hier hergestellt, Satteltaschen, Ponchos. In Südchile habe ich gelernt zu weben und immer lerne ich neue Muster, neue Techniken, sammle neue Ideen.
Ana kocht für uns - warme Cazuela, die typische Suppe, die hier fast immer serviert wird. Der Duft läßt mir das Wasser im Munde zusammenlaufen, wieder wird frisch gebackenes Brot gereicht.
Am offenen Feuer, der Mond über uns, erfahre ich Geschichten von Menschen aus der ganzen Welt, Aussteiger, einfache Urlauber, und immer wieder Kommentare zu meinen lieben Pferden, die uns so sicher in die Berge tragen.
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Mein Pferd, Caracol, ist ein kleiner, stämmiger Criollo. Fuchsfarben mit weißem Behang, ein wunderbares Pferd, das auf jede noch so kleinste Hilfe reagiert. Eine Rodeo-Ausbildung hat er durchlaufen, seit ich hier angekommen bin, ist er wie mein eigenes Pferd. Wir haben schon viel miteinander erlebt, sind durch die Anden geritten, Rennen gelaufen.
Ein wunderbares Erlebnis war das: Marcelo, einer meiner Freunde hier, meinte, daß in einer Woche ein Rennen in Morrillos stattfinden wird. Caracol und ich haben trainiert, jeden morgen vor Beginn der Arbeit, sind auf der Rennbahn galoppiert, Marcelos Pferd als Trainingspartner. Am Sonntag dann der große Tag, das Rennen. Einen Rivalen habe ich schnell gefunden, das Rennen gegen eine Frau ist hier wohl noch nie gelaufen, und Lucho mit seinem wunderschönen Hengst wird gegen mich antreten. Wetten werden abgeschlossen, Diskussionen laufen, während wir unsere Pferde absatteln. Wir einigen uns darauf, ohne Sporen und Peitsche zu reiten, ein großer Vorteil für mich, denn Caracol, was Schnecke bedeutet, ist gewohnt, ohne Sporen zu rennen, Luchos Hengst nicht.
Ich lege die Satteldecke zurecht, befestige sie mit einer Sincha, zum Schluß flechte ich ein rotes Glücksband in Caracols weißen Schweif ein. Wir stehen am Start. Wir rennen los, an einer bestimmten Stelle steht der Schiedsrichter. Wir müssen diesen Punkt gleichzeitig durchlaufen, dann eröffnet der Schiedsrichter das Rennen.
Caracol will vorwärts rennen, dennoch reagiert er einwandfrei, als ich ihn nach dem ersten mißglückten Start stoppe, zurückreite, wieder am Start stehe. Lucho stellt sich neben mich, wieder galoppieren die Pferde los, dieses Mal bin ich zu weit vorne, wir stoppen. Ein weiteres Mal, und wieder müssen wir umdrehen. Caracol fängt an zu schwitzen, will rennen, ist heiß geworden.
Ein weiteres Mal stehen wir am Start, rennen los und - der Ruf! Das Rennen ist eröffnet, ich lasse Caracol los. Er beschleunigt, er weiß, worum es geht. Lucho ist direkt neben mir, ich sporne Caracol an, er beschleunigt weiter, gibt alles. 300 Meter lang ist die Cancha, Lucho geht in Führung. Doch Caracol kämpft weiter und rennt, ich halte mich in seiner Mähne fest, während er rennt, rennt, rennt.
Wir sind wieder auf einer Höhe mit Lucho, ziehen sogar ein wenig vorbei. Ich rufe Caracol zu, muntere ihn auf, es ist nicht mehr weit ins Ziel, und wir liegen gut. Ich sporne ihn ein weiters Mal an, Caracol behält seine Geschwindigkeit bei, wir passieren das Ziel beinahe auf einer Linie mit Lucho. Ich weiß nicht, wer gewonnen hat, Lucho auch nicht. Ich lasse Caracol langsamer laufen, schließlich kehren wir im Schritt um, die Leute diskutieren. Wer hat gewonnen? Keiner weiß es so genau, einige sind für mich, andere für Lucho. Es wird diskutiert, während ich Caracol abkühlen lasse.
Das Rennen war wundervoll und ich liebe dieses Pferd. Lucho reitet neben mir her, strahlt mich an. Ich habe eine selbstgewebte Satteltasche gewettet, er ein Zicklein. Ich weiß nicht, was ich mit der kleinen Ziege anfangen sollte, aber trotzdem wäre es ein schöner Gewinn.
Schließlich sind die Diskussionen abgeschlossen, und sogar zu meinen Gunsten. Vermutlich hat die Tatsache, daß ich die erste Frau auf einem Rennen hier bin, eine Rolle gespielt. Und die Ziege wechselt den Besitzer. Caracol lasse ich ausruhen, während ich mit Marcelo auf meinen Sieg anstoße. Die Ziege werde ich ihm geben - er hat schließlich die ganze Woche über mit mir trainiert.
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Zurück in der Hazienda bringe ich Caracol auf die Weide, später laufe ich nach Hurtado, wo ein Freund von mir, Luis, ein Café führt. Bananenmilch gibt es hier immer für mich, und seine Mutter versorgt mich mit kleinen Kuchen, Sandwiches, Plätzchen. Außerdem hat Luis einen Fernseher, vor dem ich einfach sitze und es genieße, mich vollrieseln zu lassen. Ab und zu ist das nötig, einfach abschalten und sich bewegende Bilder ansehen. Später werden wir eine Fiesta besuchen - Livemusik, Cumbia, Ranchero, Tropical. Ich werde tanzen bis in die Morgenstunden, und glücklich ins Bett fallen, berauscht vom Rennen, vom Tanzen, von den Menschen hier. Und die vielen Tage erwarten, die ich noch hier verbringen kann, bevor ich nach Deutschland zurückkehre. Die Erlebnisse während meiner Touren, die Geschichten meiner Freunde, die Geschichten des Flusses, die er mir erzählt, wenn ich auf meiner Brücke liege...
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