Ben als Cowboy in Wyoming 2002

Sitzt man im Flugzeug nach Malaga oder Mallorca, dann ist die Wahrscheinlichkeit, mit frischen Sinnen wieder auszusteigen, relativ hoch. Wer aber Rapid City in South Dakota ansteuert, bei dem verringert sich diese Wahrscheinlichkeit mit jedem zurückgelegten Flugkilometer, jedem auf der Strecke zurück gelassenen Flughafen. Und so kommt es mir vor, als ob jeder Bericht über Wyoming erst mit einer kurzen Warnung beginnen sollte:  No one said it would be easy!

Die schlechte Nachricht ist überbracht, der Rest ist Schwärmen! Von der Weite, von der Schönheit, von der Herzlichkeit, von der Ruhe, vom Humor, vom Himmel, von der Sonne, von der Erde, vom Feuer - - - nein, vom Feuer lieber nicht. Und von dem Anlass der Reise:

von all den schönen Pferden... 

Reiturlaub in Europa kann auch toll sein. Von Schweden bis Andalusien hatte ich sehr interessante Trails und Aufenthalte erlebt. Europa ist nicht nur alt (...), sondern auch sehr vielfältig und letzteres ist fraglos einer der Vorzüge gegenüber den USA. Dennoch: der Wilde Westen fängt nun mal nicht in Wuppertal an, Cowboys gibt es nicht in Coburg...  Klischees, Erwartungen, Hoffnungen, Traumbilder - um die bestätigen oder platzen zu lassen, muss man wohl oder übel brutto 18 Stunden Flug in Kauf nehmen. Und ein nicht zu eng bemessenes Reisebudget eingeplant haben. Die lange Anfahrt und die hohen Urlaubskosten sind sicher verantwortlich dafür, dass Wyoming nicht mehr Pferde-Fans aus Europa hinüber ziehen kann.

Die Weite: Es ist ein Genuss, das Auge - möglichst auch das zweite - über endlose Hügel, Weiden und Wälder streifen zu lassen. Verstärkt wird sie, die Weite, natürlich durch den Himmel, der klischeehaft meistens sein Bestes gibt und einfach grandios aussieht.  Während Urlauber sich über ein unglaublich intensives Blau freuen, gerne auch mit den unglaublich intensiv weißen cotton candy clouds, würde ein Rancher lieber Regen sehen. Von dem gab es im Sommer 2002 viel zu wenig, mit Auswirkungen. Der Preis für Alfalfa und Heu verdoppelte sich, viele Rancher mussten ein Großteil ihrer Kühe verkaufen. Der Preis für Rindfleisch sank...nicht dramatisch, aber immerhin. Die große Trockenheit ließ jedes Gewitter zu einer Zitterparty werden. Im August habe ich mehrmals beim Löschen von Waldbränden geholfen.

Die Weite ist übrigens etwas, das man nicht nur bestaunt, sondern man wird Teil von ihr und nimmt sie dadurch in sich auf, selbst in nur 2-3 Wochen ist das möglich. Der Effekt ist ein verstärktes Gefühl von Ruhe und Gelassenheit, das lange anhält.

Die Black Hills in South Dakota und Wyoming sind dem good old Schwarzwald gar nicht so unähnlich, jedenfalls wirken sie im Vergleich zur dramatischen Szenerie der Rockies eher zurückhaltend. Hier lebten die Sioux (Lakota) für eine Weile, bevor Gold und Silber, bzw. die Gier der Weißen nach Selbigem allen Verständigungs-Ansätzen ein Ende bereiteten. In der Nähe von Deadwood drehte Kevin Costner die Schlußsequenz zu..., wie hieß der noch gleich...!
Apropos Wölfe: angeblich tauchen die ersten wieder auf. Wie schon zu Ben Cartwright’s Zeiten kein Anlass zum Jubeln für die Rancher. Kälber laufen frei in den Rinderherden mit, sie sind während des größten Teils des Jahres unbeaufsichtigt und deshalb leichte und meistens fette Beute. Vor ein paar Jahren wurde im Yellowstone Park ein Wolfsrudel ausgesetzt, denn irgendwie war sogar den meisten anti-environmentalists klar geworden, dass die da wieder hingehören. Ich sah zwar keinen Wolf (ritt mir aber zunächst einen), dafür sah ich eine 16-tatzige Pumafamilie mitten auf einem Waldweg, wenige Meter vor mir. Vielleicht sollte ich hinzufügen, dass ich in einem Auto saß, deswegen war’s ein sehr schönes Erlebnis...

Überhaupt die Fauna der Black Hills: Rehe, meistens White Tail Deer, sind fast überall zu sehen, vor allem morgens und abends grasen sie in Gruppen von bis zu 60 Tieren. Vereinzelt watscheln Waschbären, Stacheltiere und Stinktiere durch die Gegend. Koyoten sieht man fast nie, hört sie aber jeden Abend heulen. Die Bauwerke der Biber sind präsent an jedem Creek, sie selbst halten sich aber ebenfalls bescheiden und clever im Hintergrund. Der herrliche Himmel ist der standesgemäße Hintergrund für den König der Lüfte, den man durchaus hin und wieder zu sehen bekommt. Ein Gefühl von Bewunderung und einen absurden Hauch von Neid spüre ich, wenn ich das Wappentier der USA in Aktion sehe!

Es gibt natürlich noch jede Menge anderer "Critters", die die Black Hills bevölkern und interessant machen. Wild Turkey zum Beispiel, organisiert in drolligen Familien-Verbänden, die komischste Geräusche von sich geben! Ihre natürlichen Feinde sind die turkey vultures, große Geier, die, wenn sie hoch am Himmel kreisen, leicht das Greenhorn ins Bockshorn jagen: Hey, schaut mal hoch, ein Adler...

Habe bisher den Buffalo noch nicht erwähnt, er müsste eigentlich ganz am Anfang stehen. Es gibt keine freilaufenden Bisonherden mehr, aber auf riesigen Weide-Flächen sieht man sie doch noch. Sie werden gezüchtet wegen ihres cholesterin-niedrigen Fleisches. Ein typischer Kuhzaun hält sie natürlich nicht in Schach und ihre Haltung ist nicht gerade leicht. Kann man sich vorstellen.

Es gibt eine Gefahr, die mit dem Urlaub in dieser Gegend verbunden ist: nach der Rückkehr nach Deutschland ist die Lust, sich in den Reitstall zu begeben, um dort, wegen des schlechten Wetters oder mangelnder Ausreitmöglichkeiten, die Halle zu durchpflügen, also, sorry, diese Lust ist plötzlich erheblich eingeschränkt. Man ist im positiven Sinn verdorben . Reiten in Wyoming ist „The Real Thing", während die üblichen Reitmöglichkeiten in Germany in etwa das bieten, was die Skihalle in Neuss einem guten Skifahrer bedeuten kann: bestenfalls Ersatzbefriedigung. Mein Urteil ist etwas getrübt dadurch, dass ich von der Dressur weg gekommen bin und mit Springen auch wenig an der Reitkappe habe. Disziplinen, die in einer Halle oder auf einem Reitplatz ja durchaus ihre fragwürdige Berechtigung haben... Nein, das nehme ich zurück, jeder soll so reiten, wie’s Pferd & Reiter Spaß macht, wirklich!

Vor ein paar Jahren habe ich auf der Southern Cross Ranch in Georgia einen deutschen Schmied kennen gelernt, der in die USA ausgewandert war, weil sein Leben in deutschen Reitställen gefährdet gewesen sei. Pferde werden oft dauerhaft nervös, wenn ihre Lebensgestaltung zu wenig mit ihrer Natur zu tun hat. Das gleiche Theater also wie bei vielen Menschen... Artgerechte Haltung führt zu artgerechtem Verhalten. Die meisten Pferde in Wyoming sind in der beneidenswerten Lage, kräftig zu wiehern: hier bin ich Pferd, hier darf ich’s sein! Ein Schmied hat hier relativ leichtes Spiel, böse Überraschungen bleiben fast immer aus.

Gibt’s wirklich noch Leute, die gerne ein unruhiges Pferd reiten? Die sollten lieber Bungee-Jumping machen! Wer durch eine herrliche Gegend reitet oder beim Zusammentreiben von Kühen hilft, der denkt aber kaum in Adrenalin - Maximierungs - Kategorien. Bei einem langen Tagesritt bindet man mittags sein Pferd für ein Stündchen an einen Baum, da hilft es enorm, wenn das Pferd kein Hektiker ist.

Die Diamond L Ranch liegt absolut fantastisch, am endgültigen Ende einer 20 km langen dirt road, wo sich dann wirklich Fuchs und Hase Gute-Nacht zuflüstern und wo das abendliche Heulkonzert der Koyoten den akustischen Hintergrund für Wildwest-Romantik liefert. Die Ranch liegt übrigens, der Vollständigkeit halber, ungefähr 200 Kilometer von Rapid City entfernt, nächster Ort ist Sundance. Unmittelbar an den sehr großen Black Hills National Forest angrenzend, kann man von der Ranch aus endlose Ausritte unternehmen, ohne jemals den gleichen Weg zweimal zu reiten. Wald, Wiesen, Hügel, teilweise auch bergig, mit entsprechenden breath-taking views, zum Beispiel auf den Devils Tower, einem Vulkangestein von satten 400 Metern Höhe. Es fällt nicht allzu schwer, sich die Lebensbedingungen der Sioux vor 150 Jahren vorzustellen, wir reiten ja täglich durch ihr Land, das damals nicht viel anders ausgesehen haben dürfte. Und abends: es gibt wenig Orte, an denen der Nachthimmel so spektakulär ist wie hier.

Die Ritte stehen im Mittelpunkt des Urlaubs und obwohl die Ranch keine eigenen Kühe hat, gibt es immer wieder mal Gelegenheit, wenn man will, bei Nachbar-Ranchern mitzuhelfen. Kein Schickimicki-Schnickschnack, kein Tennisplatz, kein Schwimmbad, allerdings keineswegs spartanische Unterkunft, sondern sehr schöne Zimmer in der großen Holzlodge oder in einem Bunkhouse. Zwölf Gäste können gleichzeitig auf der Ranch sein, meistens sind’s aber ein paar weniger, was allen angenehm ist, inklusive den Besitzern. Das Besitzerehepaar kümmert sich mit Unterstützung eines zweiten Ehepaars um alles. Die Mahlzeiten sind sensationell gut, demnächst veröffentlicht Carolyn ein Kochbuch. Typisch für die Mentalität der „Wyominger": man ist den üblichen ungeliebten Touristen-Stempel sofort los und stattdessen mittendrin. Übrigens lebt und arbeitet ein professioneller Pferde-Trainer auf der Ranch, der sich sehr gerne bei der Arbeit über die Schulter schauen lässt.  Die Ausritte entsprechen den eigenen Möglichkeiten und Wünschen, die auch rechtzeitig besprochen werden. Manche City Slickers wollen möglichst rund um die Uhr im Sattel sein. Well, sure!
Eine Gruppe ist selten größer als vier, fünf, inklusive Wrangler, Stichwort für die Hosenfrage: bitte blamiert Euch nicht mit ’ner 501, Diesel, Guess oder weiß der Geier, bzw., Turkey Vulture. Eine stinknormale Wrangler Jeans ist deshalb die Wahl, weil die doppelten Beinnähte außen sind. Man sieht einen Cowboy selten mit was anderem als mit ’ner Wrangler.
Tipp #1: die Beinlänge eine Nummer, also zwei inches, länger als üblich.
Tipp #2 : ähnlich wie bei Henry Ford’s T-Model sollte man zwischen, nein, diesmal nicht schwarz, sondern zwischen blau und blau wählen, obwohl die Toleranz der Cowboys auch nicht zu sehr strapaziert wird, wenn man lieber in schwarz, beige, grün der dunkelrot reitet.

Wer eine Woche, oder zwei oder drei, hier Urlaub gemacht hat, war in dieser Zeit weit weg vom Weltgeschehen, was ja selten ein Nachteil ist. Sehr nahe war man der Natur, und zwar einer wirklich schönen. Man kann hier auch der eigenen Natur näher gekommen sein, was ebenfalls selten ein Nachteil ist... Den herben Humor der Cowboys hat man kennen gelernt, Produkt sowohl harter Lebensbedingungen als auch einer ungetrübten Lebensfreude. Mehrmals habe ich amerikanische Gäste (die Ranch ist in Deutschland noch nicht vertreten) sagen hören, hier sei die Welt noch in Ordnung. Kann ich bestätigen: wo, wenn nicht dort, kann man im Einklang mit der Umwelt leben? Eine gute Portion mentaler, seelischer und physischer Gesundheit nimmt man mit nach Hause und kann dort den Spirit der Black Hills weiterleben lassen.

Ein paar Worte noch über die Klischees, die ja vielleicht oft der Grund für eine Reise sind: die klassische Western-Atmosphäre gibt es durchaus. Wyoming weckt bei vielen Amerikanern Sehnsucht nach dem „echten Leben", jenseits des Krawattenzwangs. Menschenleere Weite, ein Ort mit 5.000 Einwohnern ist eine große Stadt. Der große Himmel, nicht nur Montana ist Big Sky Country. Pferde als Bestandteil des täglichen Lebens. Pick-Up Trucks mit Gewehrhalterung, Saloons, Rodeos, Cowboy Hats, Ropes, Boots, Buckles and Spurs, Copenhagen Chewing Tobacco, Angus Cattle, große Steaks, Australische Schäferhunde, Country Music, George Strait, Brooks & Dunn, local boy Chris LeDoux. Die Menschen sind gut drauf, humorvoll, bodenständig, zufrieden. Wenn die jetzt noch ihren Müll trennen würden, dann wäre alles perfekt... just kidding...nein wirklich...kein einziges Klischee zerplatzt....

Viel mehr Fotos von Wyoming, den Pferden, der Ranch, der Umgebung kleben in meinem virtuellen Fotoalbum  www.cowboydream.com



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